In der aktuellen Diskussion um die allgemeine Wehrpflicht zeigt sich, dass Österreich über geschätzte 3.765.356 Experten für Landesverteidigung verfügt. Grund genug, die kontroversiellen Argumente aus hohen und höchsten Kreisen der militärischen Führung zusammen zu fassen und zur Diskussion zu stellen.
Experte 1 *), Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht:
„Wieso sollen wir von einem Kurs abgehen, der sich gerade für einen kleinen neutralen Staat wie Österreich jahrzehntelang außerordentlich gut bewährt hat? Das Mischsystem aus Berufssoldaten, Freiwilligen (Zeitsoldaten), Miliz und Grundwehrdienern funktioniert. Das Bundesheer bewältigt alle seine personalintensiven Einsätze wie etwa den Katastrophenschutz im Inneren, den Assistenzeinsatz im östlichen Grenzraum, die Auslandsmissionen vom Westbalkan bis zum Golan, oder die permanente Luftraumüberwachung zu 100 Prozent. Wie die Erfahrungen der letzten 20 Jahre zeigen, funktioniert es aber in vielen Ländern, die ihr Wehrsystem geändert haben, nicht so einwandfrei. Viele Berufsarmeen in Europa haben enorme Aufbringungsprobleme. In Schweden rechnen Experten mit massiven Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung.“
Experte 2 **), Gegner der allgemeinen Wehrpflicht:
„Derzeit sind in einem auf die nicht mehr existente Bedrohung des Kalten Krieges ausgerichteten Massenheer 60 Prozent der etwa 24.000 Grundwehrdiener als Systemerhalter und somit als Fahrer, Köche, Kellner oder Schreiber eingesetzt. Ein gewaltiger Apparat ist damit beschäftigt, die restlichen 40 Prozent der Rekruten in kürzester Zeit zur Abwehr eines Feindes auszubilden, den es in dieser Form nicht mehr gibt. Vollkosten für die Grundwehrdiener: mehr als 200 Mio. Euro pro Jahr. Mit der angepeilten Personalstärke sind alle derzeit vorstellbaren Einsätze abgedeckt. Das umfasst natürlich auch Assistenzeinsätze zur Katastrophenhilfe mit einem Bedarf von 12.500 (Profi-) Soldaten. Garantiert ist darüber hinaus ein Auslandskontingent von mindestens 1100 Soldaten. Die Luftraumüberwachung ist zu 100 Prozent gewährleistet. Ich plädiere daher für ein Heer mit ausschließlich bestens ausgebildeten Profi-Soldaten und starker Milizkomponente. Mein Modell sieht 8500 Berufssoldaten (2000 Offiziere – statt derzeit 2900 – und 6500 Unteroffiziere), 7000 Zeitsoldaten sowie 9300 Milizsoldaten vor.“
Experte 1 *), Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht:
„Auch die von Wehrpflichtgegnern gerne ins Treffen geführten Pläne des Nato-Mitgliedstaates Deutschland sind kein Grund, an unserem Erfolgsmodell zu rütteln. Zum einen weiß noch niemand, wie die deutsche Oxymoron-Debatte („freiwillige Wehrpflicht“) ausgehen wird. Oder kann man etwa die präferierte Variante (Aussetzen der Wehrpflicht und Reduktion der Truppenstärke) als vorläufiges Endergebnis bezeichnen? Im Sinne der neuen Oxymora-Kultur gewiss. Zum anderen ist die Situation im einwohnerreichsten EU-Land mit der in Österreich überhaupt nicht zu vergleichen. Ohne Grundwehrdiener könnten etwa nicht mehr zumindest 10.000 Soldaten für den Katastrophenfall (z. B. Hochwasser 2002) bereit gestellt werden. Die Wehrpflicht ist darüber hinaus die notwendige Basis für die Rekrutierung von Berufssoldaten. Aber nicht nur das: Ein Berufsheer würde auch das Ende der Miliz bedeuten, weil sie sich aus den Grundwehrdienern rekrutiert. Das hätte massive negative Auswirkungen auf die Auslandseinsätze: 56 Prozent der österreichischen Soldaten im Ausland werden durch die Miliz gestellt. Eine Abschaffung der Wehrpflicht würde auch bedeuten, dass es keinen Zivildienst mehr gibt.“
Experte 2 **), Gegner der allgemeinen Wehrpflicht:
„Gerade die ohne Grundwehrdiener absolvierten Einsätze im Jahr 2011 (Evakuierung von Österreichern aus Nordafrika, Teilnahme an der EU-Battlegroup, Entsendung einer Reserveeinheit in den Nordkosovo) zeigen, dass die Herausforderungen völlig andere sind als zu Zeiten der Bipolarität. Eine konventionelle militärische Bedrohung durch Panzer gibt es nicht mehr. Die Bedrohungen sind komplexer und unvorhersehbarer geworden, sie treten kurzfristig ein. Internationaler Terrorismus, das „Scheitern“ von Staaten, Angriffe auf IT-Systeme, die Bedrohung strategischer Infrastruktur oder der Klimawandel – das sind einige der Gefahren, für deren Abwehr wir uns wappnen müssen. Die Miliz soll deutlich aufgewertet werden: zwei Wochen verpflichtende Ãœbungen pro Jahr, auf Knopfdruck einsetzbar, finanzielle Anreize und bessere Ausstattung. Dazu kommen 6500 Zivilbedienstete statt wie bisher 8400. Damit erreichen wir eine drastische Reduktion des Verwaltungsapparats, eine notwendige pyramidenförmige Personalstruktur und eine Senkung des langsam aber stetig steigenden Durchschnittsalters des Berufskaders um zumindest fünf Jahre (von derzeit 41 auf 36).“
Experte 1 *), Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht:
„Ein Berufsheer mit gleichem Leistungsspektrum wäre auch um einiges teurer. Das bisherige Budget müsste verdoppelt werden – angesichts des generellen Sparzwanges ein illusorischer Gedanke. – Es gibt also etliche Gründe, die gegen ein Berufsheer und zugleich für eine Beibehaltung des bisherigen Systems sprechen.“
Experte 2 **), Gegner der allgemeinen Wehrpflicht:
„Das Heer gehört grundlegend reformiert, um es an die Herausforderungen der Zukunft anzupassen – andernfalls droht ein Verlust an Leistungsfähigkeit. Wir brauchen einen Wendepunkt in der Geschichte des Bundesheeres, um den Wendepunkten in der Weltgeschichte endlich gerecht zu werden.“
Experte 1 *), Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht:
„Die Wehrpflicht ist darüber hinaus die notwendige Basis für die Rekrutierung von Berufssoldaten. Aber nicht nur das: Ein Berufsheer würde auch das Ende der Miliz bedeuten, weil sie sich aus den Grundwehrdienern rekrutiert. Das hätte massive negative Auswirkungen auf die Auslandseinsätze: 56 Prozent der österreichischen Soldaten im Ausland werden durch die Miliz gestellt. Eine Abschaffung der Wehrpflicht würde auch bedeuten, dass es keinen Zivildienst mehr gibt. Denn ein Staat darf seine Bürger nicht zu Zwangsarbeit verpflichten. Das steht in Artikel 4 der Menschenrechtskonvention. Eine Ausnahme gilt für militärische Dienstleistungen. Ohne Zivildiener würde das Gesundheits- und Sozialsystem ins Wanken geraten, erhebliche zusätzliche Kosten würden entstehen. Das Rote Kreuz schätzt sie auf etwa 200 Millionen Euro.“
*) Experte 1: Norbert Darabos,  DER STANDARD, Printausgabe, 3.9.2010
**) Experte 2: Norbert Darabos, DER STANDARD; Printausgabe, 27.10.2011
Danke für die Zusammenfassung. Good job.
Danke, super Zusammenfassung für eine Pro/Contra – Erörterung!
Na bitte, da hätten wir doch gleich ein passendes „Abstimmungsbuch“ zur Volksbefragung – für alle, die noch nicht wissen, wie und wo sie den Herrn Bundesminister einreihen sollen…
Darabos…
widersprüchlicher geht’s aber nimma??!