Milchmädchenrechnung: Wer schützt unsere kritische Infrastruktur?

Knapp 400 Objekte zählen in Österreich zur schützenswerten Infrastruktur, 192 davon sind offiziell als „kritisch“ eingestuft und daher mögliche Ziele terroristischer Angriffe. Während offizielle Aussagen verkünden, dass die Sicherheit gewährleistet melden Insider erhebliche Zweifel an, ob das nicht einem Wunschdenken entsprechen würde. Nach dem Motto: Wir sind und bleiben eine Insel der Seligen.

Der Schutz der kritischen Infrastruktur ist Aufgabe der Polizei, die bei Bedarf das Bundesheer um Unterstützung anfordern kann. Besonders gefährdet sind Verkehrswege, Flüghäfen aber auch andere Institutionen. © Christian M. Kreuziger | bildtext.com

Der Schutz der kritischen Infrastruktur ist Aufgabe der Polizei, die bei Bedarf das Bundesheer um Unterstützung anfordern kann. Besonders gefährdet sind Verkehrswege, Flüghäfen aber auch andere Institutionen. © Christian M. Kreuziger | bildtext.com

Die Tiroler Tageszeitung listet in ihrer Onlineausgabe vom 11. Jänner 2015 genau auf, wieviele Objekte das Innenministerium als „Kritisch einstuft. Nämlich 192 Schutzobjekte, die in acht Kategorien eingeteilt sind: Energie (49); Informations- und Kommunikationstechnologie (46); verfassungsmäßige Einrichtungen (Parlament, Landtage, Regierungsgebäude und Höchstgerichte; 35); Gesundheit (Spitäler, Medikamentenlager; 23); Finanzen (20); Verkehr (Flughäfen, Brücken, Eisenbahnknoten; 13); Wasser (5); Forschung (1).

Manche dieser Institutionen, vor allem aus den Bereichen Energie oder Telekommunikation, haben auch im Fall eines Ausfalls Folgen für ganz Europa. Würden diese Institutionen, deren Zahl mit elf angegeben wird, ausfallen, dann käme es zu grenzüberschreitenden Problemen.

Sowohl Innen- als auch Verteidigungsministerium versichern öffentlich, den Schutz dieser Einrichtungen gewährleisten zu können. Durch die Beamten der Exekutive, die bei Bedarf durch Soldaten des Bundesheeres unterstützt würden.

Das klingt gut. Allerdings haben Insider aus den beiden für die Sicherheit Österreichs zuständigen Ressorts ihre Bedenken. Denn die theoretische Zahl der Einsatzkräfte sei nicht verfügbar, ohne andere wichtige Aufgaben stark zu reduzieren oder gänzlich auf diese zu verzichten.

Zu den (wahrscheinlich nur unvollständigen und sich stetig ändernden Zahlen: Österreich beschäftig derzeit rund 23.000 Exekutivbeamte im Polizeidienst, die durch Zivilbedienstete verstärkt werden. Das Bundesheer verfügt über eine geschätzte Mannstärke von rund 16.000 Berufssoldaten (von denen allerdings viele im Bereich Logistik, Verwaltung und anderen Bereichen eingesetzt sind), die – angeblich – durch 26.000 Milizsoldaten verstärkt werden könnten.

Optimistisch gerechnet stehen also 78.000 Frauen und Männer für den Schutz wichtiger Institutionen zur Verfügung. Allerdings unter der Voraussetzung, dass alle anderen Bereiche nicht mehr bedient werden können.

Realistisch betrachtet können wahrscheinlich höchstens zehn Prozent tatsächlich zum Schutz der Infrastruktur herangezogen werden. Vor allem die Spezialeinheiten der Exekutive wie Cobra, WEGA oder andere Einheiten. Gemeinsam mit unterstützenden Bundesheereinheiten stehen also höchstens 12.000 bis 15.000 Einsatzkräfte für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung, um unsere Energie- und Lebensmittelversorgung, die Telekommunikation und Regierung, wichtige Verkehrswege und Gesundheitseinrichtungen zu sichern.

Zur Erinnerung: Offiziell werden 192 Einrichtung vom Innenministerium als extrem wichtig geführt, mindestens 400 Einrichtungen sind allerdings, so Insider, tatsächlich extrem schützenswert.

Und dies ist nun jener Punkt, wo unwissende besorgte Bürger beginnen, eine Milchmädchenrechnung aufzustellen.

Für 192 Objekte stehen also im Idealfall 15.000 Sicherheitskräfte zur Verfügung. Das entspricht knapp 78 Frauen und Männer pro Objekt.

Unter Umständen kann diese Anzahl ja durchaus genug sein. Wenn Ausbildung und Ausrüstung von höchster Qualität sind, die Logistik gut funktioniert, die Objekte relativ leicht zu sichern sind und die Lage überschaubar ist.

Allerdings macht die (österreichische) Realität dieser Annahme einen kräftigen Strich durch die Rechnung. Denn allein bei der Räumung eines Hauses, in dem sich relativ friedliche und unbewaffnete 19 Protestanten im Rahmen der „Pizzeria Anarchia“ verschanzt hatten, schritt die Polizei mit 1.454 Beamten ein. Samt Panzerfahrzeug, Wasserwerfern und Hubschrauber. Für die Räumung eines relativ kleinen Zinshauses.

Hochgerechnet müssten, so die Milchmädchenrechnung und sehr vorsichtig kalkuliert, knapp 260.000 Polizisten und Soldaten eingesetzt werden, um die wichtigen Objekte mit annähernd gleicher Qualität zu schützen, wie dies bei der Räumung eines Wohnhauses in Wien der Fall war.

Eine Milchmädchenrechnung also, die allerdings implizieren muss: Verzeihung, liebe Milchmädchen der vergangen Tage…

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Schlagworte: Österreich, Bundesheer, kritische Infrastruktur, Politik, Polizei, Sicherheit, Staat, Terrorismus,

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1 Antwort zu Milchmädchenrechnung: Wer schützt unsere kritische Infrastruktur?

  1. Ja, die Milchmädchenrechnung geht auch insofern nicht auf, als das wir nicht mit einem militärischen Angriff, sondern mit Terrorismus des 21. Jahrhundert zu rechnen haben. Und dieser kündigt sich nicht wie in der „guten alten und einfachen Zeit“ des Kalten Krieges mit Angriffen durch Spezialeinsatzkräften vor einer militärischen Auseinandersetzung an. Er kommt aus dem „Nichts“ und dann war es das auch wieder für die nächste Zeit … da braucht man dann nichts mehr schützen, sondern muss nur noch zusammenräumen.

    Zum anderen haben die terroristischen Angriffe der jüngsten Vergangenheit nie auf potentielle Schutzobjekte abgezielt …

    Aber was soll man dann heute machen?

    Es ist derzeit ziemlich egal, welche Objekte geschützt werden, unsere Infrastruktur ist derart vernetzt und wechselseitig abhängig und verwundbar, dass man auch viele andere Punkte angreifen kann, um weitreichende Schäden im Gesamtsystem zu verursachen. Daher sollten wir uns weniger auf mögliche Objekte und Täter konzentrieren, als vielmehr auf unsere Verwundbarkeiten. Aber das erfordert ein etwas anderes Denken, ein vernetztes Denken, das leider noch in vielen Bereichen verbesserungswürdig ist. Mehr dazu gibt es hier: Terrorismus
    bzw. Hybride Bedrohungspotenziale im Lichte der Vernetzung und Systemischen Denkens

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