Ich wurde assimiliert. Das ist gut – und auch sehr schlecht.

Ich bin so einer, den man in diesem Land derzeit eigentlich nicht will. Ein Migrant. Der erste in der Wirtschaftsflüchtligszuwanderungsasylantenfamile, der zwar in Österreich geboren wurde, aber dennoch ein „Fremder“ war.

Wien, 14. 09. 2004, 1100 Wien, Bereich Bitterlichstraße, Böhmischer Prater: Polizeikräfte suchen nach illegal eingereisten Flüchtlingen. © Christian M. Kreuziger/picturedesk.com

Meine erste Muttersprache, eigentlich Großmuttersprache, habe ich fast ganz verlernt. Leider. Sie war ein Stück Identität, ein Teil der Kultur der Kindheit und heute wären diese Kenntnisse wertvoll. Aber: Diese Sprache hat damals niemand verstanden und würde heute ohnehin niemand verstehen. Wie zum Beispiel die Aufforderung meiner Grula: „Gimmrr ock a Guschla, du biesarr Karrlle du.“

Nur ein paar andere „Migranten“, oder „Asylanten“, die ebenfalls aus dieser Gegend nach Wien gekommen waren, konnten den Sprachcode, ein rein deutscher übrigens, aus der Zeit vor der zweiten Deutschen Lautverschiebung, dechiffrieren.

Diese Sprache hat mich als Kind ausgegrenzt, Spott und Hohn waren, weil die Sprache trennend wirkte, ständige Begleiter. Das war der Sprachcode der Mutterfamilie, die aus einem Land vertrieben wurde, das damals realsozialistisch regiert wurde.

Ausgegrenzt wurde ich auch wegen der Herkunft und Religionszugehörigkeit der Vaterfamilie. Der Herr Vater, früh verstorben, der reiste aus dem Osten nach Wien. Als eine Art „unbegleiteter minderjähriger Wirtschaftsflüchtling“. Wie viele andere, die es in den reichen Westen gezogen hat, in die damals noch „k. & k. Haupt- und Residenzstadt Wien“.

Die Halbschwester, die der Herr Vater lang vorher gezeugt hatte, ereilte später wieder ein „Asylanten-Migranten-Schicksal. Zuerst eine „Zwangsumsiedlung“ aus der neuen Gemeindebauwohnung im Goethehof in Wien in ein winziges Kabinett in Praternähe. Denn die Gemeindebauten waren damals anderen vorbehalten. Dazu gehörten Angehörige einer alten nahöstlichen und monotheistischen Religion jedoch nicht.

Aus der Vaterfamilie haben nur drei überlebt, aus der Mutterfamilie alle. Beide Familienzweige haben jedoch alles verloren. Bei der „Umsiedlung“, bei der „Aussiedlung“ und bei der „Übersiedlung“. Wahlweise innerhalb Wiens, oder nach außerhalb Wiens, zum Beispiel in eine Stadt, die ein „Führer“ den Angehörigen dieser alten monotheistischen Religion geschenkt hat“ oder eben von außerhalb nach Wien.

An meine Familiengeschichte musste ich denken, als ich für den ORF im Kosovo Beiträge recherchierte und drehte. Mein Migrationshintergrund wurde mir bewusst, als ich in „Asylantenhäusern“ fotografierte, mit unterschiedlichen „Briefings“ der Redaktionen. Oder bei Razzien, zu denen nicht nur Polizei-, Finanz- und Gemeindebeamte ausschwärmten und sich eine Journalistenkollegin sichtlich freute, dass eine fast 60-jährige „Illegale“, also eine Ausländerin, bei einem Delikt erwischt wurde. Bei der Schwarzarbeit in einem Restaurant, das ihre Familie betreibt, nämlich. Welch ein berichtens- und verfolgenswertes Verhalten.

Mit diesem Hintergrund, dem Migrationshintergrund nämlich, bekommen die flotten Sprüche der Maulhelden aus dem rechtsrechten Lager, von denen viele selbst aus Zuwanderer-, Vertriebenen- oder Wirschaftsflüchtlingsfamilien kommen, eine neue Bedeutung. Eine, die denkenden Menschen durch die zynische und menschenverachtenden Kampfrhetorik eine Gänsehaut verursachen sollte. Vor allem in Zeiten von Wirtschaftskrisen, Vorwahlzeiten und sozialen Spannungen.

Aber nicht jeder der denkt, ist auch weise. Schade eigentlich.

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4 Antworten zu Ich wurde assimiliert. Das ist gut – und auch sehr schlecht.

  1. Alexander sagt:

    Auch ich wurde assimiliert, obwohl mit typisch deutschen Familiennamen ausgestattet, weiß ich sehr wohl wo meine Wurzeln sind. Großvater im KZ, nicht weil er Jude war, sondern „Jenischer“. Wir Jenischen sind die sogenannten weißen Zigeuner.

    Diese ewig gestrigen Rechtsrechten legen es voll darauf an, dass wieder solche Zeiten kommen.

    Sogar bei einer Vorstellung bei einer Arbeit, wurde mir aufgrund meines Namens gesagt. Endlich einer von uns. Wie ich begriffen habe, was er meint, habe ich ihm geantwortet. Niemand, ja niemand hat sich ausgesucht wie er heißt, geschweige wo er geboren ist. Natürlich war die Motivation von meiner Seite für diesen Menschen (ich weiß nicht ob das auf die ganze Organisation zutrifft – will nicht pauschal urteilen) überhaupt einen Finger zu rühren, nicht mehr gegeben. Zum Glück kann man sich ja heute aussuchen, wo man sich einbringen will.

  2. Petra Kefer sagt:

    Jemanden auf Grund seines Namens einer Bevölkerungsgruppe zu verurteilen ist schlichtweg eine Frechheit – jemanden auf Grund seines kulturellen Hintergrundes zu diskriminieren ist eine Gemeinheit – jemanden wegen seines Glaubens zu verfolgen ist schlichtweg falsch – aber jemanden in seinen Heimatland als Nazi zu beschimpfen, weil er die Migrantensprache nicht spricht und denjenigen darum bittet einen Dolmetsch einzuschalten – das ist Dummheit…
    Alles erleb ich tagtäglich und ich schwanke da minütlich zwischen Mitleid und Wut – ja wir müssen Migrations- und IntegrationsWILLIGEN mit allen Mitteln helfen – aber niemanden assimilieren, weil auch das ist schlichtweg falsch.
    Aber wir müssen auch diese und auch uns davor schützen, einfach assimiliert zu werden ….
    Das ist nun eine Gratwanderung die vor 40 Jahren begonnen hat mit den hereinholen der sogenannten „Tschuschen“ und wird – je nach Geschick unserer Gesellschaft – in Wohlgefallen oder in einer Katastrophe enden – leider stehn im Moment die Zeichen auf letzteres…

  3. Alexander sagt:

    Genau hat dieser Mensch gesagt. Endlich einer von uns. Endlich ein Arier. Mich hat es vom Sessel gehaut und ich habe ihn geantwortet, er soll mit diesen Arier-Geschwätz aufhören. Dann hat er gesagt, man muss doch zu seinen Wurzeln stehen. Und ich habe ihn geantwortet, ich kenne meine Wurzeln sehr wohl und niemand, ja niemand hat sich ausgesucht wie er heißt, geschweige wo er geboren ist. etc. etc.

    Es geht ja gar nicht um Integrations oder Migratiosn WILLEN, es muss doch jeden Kleingeist klar sein, sobald er österreichisches Staatsgebiet verläßt, dass er selber Ausländer ist. Wie ich in Deutschland die Schule besuchte waren wir 2 weitere Buben und ich auch die “Ausländer”.

  4. rosa sagt:

    Sehr gut geschrieben … aber nur ein Teil der „Wahrheit“ und somit nur Teilaspekt des Problems – Immigration und Verschiebung bzw Veränderung von Kultur ist ein sehr komplexes Thema das auch komplexe Ansätze braucht. Es ist ein Prozess der nicht verordnet sondern nur sanft und vernünftig beeinflusst werden kann – wenn er positiv ablaufen soll …
    Man sollte auch nie „vermischen“ – viele Immigranten kommen meist nicht „freiwillig“ sondern weil sie aus ihrem Land vertrieben werden oder unter nicht lebenswerten Umständen existieren müssen. Dieser Aspekt beeinflusst mM den Prozess der Integration sehr wesentlich. Ein traumaisierter Mensch kann nicht „funktionieren“. Manche Menschen die wir als Migranten bezeichnen leben schon länger bei uns und haben einen ganz anderen Background. Wenn man das nicht einbezieht wird es nie eine funktionierende Integrationspolitik geben. Es gibt steuerbare Faktoren – wohnen, Arbeit etc… aber es gibt eben auch die nicht steuerbaren psychologischen Faktoren …

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